FIKTIVE ABNAHME DES GEMEINSCHAFTSEIGENTUMS
§ 640 BGB bestimmt, dass der Besteller einer Werkleistung verpflichtet ist, das vertragsgemäß hergestellte Werk abzunehmen.
Die Abnahme kann ausdrücklich erklärt werden, sich aus dem Verhalten des Bestellers ergeben (konkludente oder auch stillschweigende Abnahme genannt) oder fingiert werden.
Die nachfolgenden Urteile befassen sich mit vielen Detailfragen zur fiktiven Abnahme. Bitte beachten Sie, dass sich zum 01.01.2018 die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches zur fiktiven Abnahme geändert haben und deshalb zu prüfen ist, auf welche Gesetzeslage sich die jeweilige Entscheidung bezieht.
Gemäß Art. 229 § 39 EGBGB ist auf ein Schuldverhältnis, das vor dem 01.01.2018 entstanden ist, das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung anzuwenden. Für Schuldverhältnisse, welche ab dem 01.01.2018 entstanden sind, gilt das Bürgerliche Gesetzbuch in der ab diesem Tag geltenden Fassung.
§ 640 BGB Absatz 1 (bis 31.12.2017)
"… Der Abnahme steht es gleich, wenn der Besteller das Werk nicht innerhalb einer ihm vom Unternehmer bestimmten angemessenen Frist abnimmt, obwohl er dazu verpflichtet ist."
§ 640 BGB Absatz 2 (ab 01.01.2018)
"Als abgenommen gilt ein Werk auch, wenn der Unternehmer dem Besteller nach Fertigstellung des Werks eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und der Besteller die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat …"
FIKTIVE ABNAHME ERFORDERT ABNAHMEREIFE UND ABNAHMEFÄHIGKEIT DES WERKES
OLG DÜSSELDORF, BESCHLUSS VOM 19.12.2023 - 21 U 90/23
Nach § 640 Abs. 1 BGB a.F. (i.d.F. v. 02.01.2002, gültig vom 01.01.2002 bis 31.12.2017) ist der Besteller verpflichtet, das vertragsmäßig hergestellte Werk abzunehmen, sofern nicht nach der Beschaffenheit des Werkes die Abnahme ausgeschlossen ist. Wegen unwesentlicher Mängel kann die Abnahme nicht verweigert werden. Der Abnahme steht es gleich, wenn der Besteller das Werk nicht innerhalb einer ihm vom Unternehmer bestimmten angemessenen Frist abnimmt, obwohl er dazu verpflichtet ist. Anders als bei der Abnahmefiktion nach § 640 Abs. 2 BGB in der aktuellen Fassung war es i.R.v. § 640 Abs. 1 S. 3 BGB a.F. relevant, ob das Werk abnahmereif und abnahmefähig war. Darüber hinaus musste ein Abnahmeverlangen des Unternehmers vorliegen und dem Besteller musste die Möglichkeit gegeben werden, die Leistung ausreichend zu prüfen.
MÄNGELRÜGE VOR FRISTSETZUNG - FIKTIVE ABNAHME MÖGLICH
OLG SCHLESWIG, URTEIL VOM 10.12.2021 - 1 U 64/20
Eine fiktive Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB tritt auch dann ein, wenn der Besteller bereits vor der Fristsetzung Mängel des Werks gerügt hat. Das gilt jedenfalls dann, wenn dem Werkunternehmer keine erheblichen Mängel des Werks bekannt sind.
FIKTIVE ABNAHME KANN NICHT ALLEIN AN DIE INGEBRAUCHNAHME DES VERTRAGSGEGENSTANDES GEKNÜPFT WERDEN
OLG HAMM, URTEIL VOM 10.03.2022 - 24 U 194/20
Grundsätzlich ist es den Vertragsparteien eröffnet, Vereinbarungen zur Abnahme zu treffen. Eine Klausel, nach der die Abnahme unmittelbar bzw. allein an die Ingebrauchnahme des Vertragsgegenstandes geknüpft wird, ist indes als unwirksam anzusehen, weil sie den rechtsgeschäftlichen Charakter einer Abnahme ausblendet und ein Besteller somit den Einzug ablehnen müsste, wenn er einer Abnahmewirkung entgegentreten wollte.
FIKTION DER ABNAHME NUR, WENN BAULEISTUNG FERTIG GESTELLT IST UND KEINE WESENTLICHEN MÄNGEL BESTEHEN
OLG KÖLN, BESCHLUSS VOM 02.11.2021 - 7 U 173/20
Der Abnahme steht es (i.S.d. § 640 Abs. 1 BGB a.F.) gleich, wenn der Besteller das Werk nicht innerhalb einer ihm vom Unternehmer bestimmten angemessenen Frist abnimmt, obwohl er dazu verpflichtet ist.
Der Besteller ist zur Abnahme verpflichtet, wenn die Bauleistung fertig gestellt ist und allenfalls unwesentliche Mängel aufweist.
Ob ein Mangel wesentlich ist und deshalb zur Verweigerung der Abnahme berechtigt, hängt von Art und Umfang des Mangels und seinen Auswirkungen ab. Das lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilen. Auch bloße optische Beeinträchtigungen können das Maß des Zumutbaren überschreiten.
FIKTIION DER ABNAHME BEI NICHTERSCHEINEN ZUM ABNAHMETERMIN IST NICHT ALS AGB VEREINBAR
LG HALLE, URTEIL VOM 21.05.2021 - 4 O 208/19
In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Anbieters von Einfamilien-, Doppel- und Stadthäusern sind folgende Klauseln unwirksam:
- "Der Bauherr kann im Falle der Bezugsfertigkeit die Abnahme nicht verweigern wegen geringfügiger Nachbesserungsarbeiten oder wegen noch bestehender Unvollständigkeit von Straßen, Wegen und Außenanlagen, vorausgesetzt, der Bezug ist dem Bauherrn zumutbar."
- "Erscheint der Bauherr bei Bezugsfertigkeit zum Abnahmetermin nicht, so gilt das Kaufobjekt als beanstandungs- und mängelfrei übergeben, falls er Mängel nicht innerhalb von sechs Werktagen nach Übergabetermin schriftlich gegenüber M rügt und M den Bauherrn bei der Einladung zur Übergabe auf diese Rechtsnachfolge aufmerksam gemacht hat."
KEINE FIKTIVE ABNAHME, WENN DER AUFTRAGNEHMER MÄNGELSYMTOME BENANNT HAT
LG NÜRNBERG-FÜRTH, URTEIL VOM 03.05.2021 - 12 O 6673/10
Setzt der Auftragnehmer dem Auftraggeber nach der Fertigstellung der Leistung eine Frist zur Abnahme, treten die Abnahmewirkungen nicht ein, wenn der Auftraggeber innerhalb der Frist die Abnahme unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert.
Es reicht aus, wenn bei der Verweigerung der Abnahme ein einziger Mangel benannt wird. Auch genügt es, wenn der Auftraggeber dem Auftragnehmer mitteilt, wo das Werk aus seiner Sicht nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat.
Der Auftraggeber braucht den Mangel nicht im Detail darzulegen, sondern lediglich so zu bezeichnen, dass der Mangel von Seiten des Auftragnehmers nachvollzogen und verortet werden kann. Die Angabe von Mängelsymptomen reicht. Nicht erforderlich ist die Angabe der Mangelursache.
BEI EINER FIKTIVEN ABNAHME IST AUF DEN ZEITPUNKT DES VORLIEGENS DER GESETZLICHEN VORAUSSETZUNGEN FÜR DIE ABNAHMEFIKTION ABZUSTELLEN
OLG KÖLN, URTEIL VOM 28.10.2020 - 17 U 44/16
Besteht Abnahmereife, dann ist die Bestellerin zur Abnahme verpflichtet. Mit Ablauf der von der Beklagten gesetzten Frist zur Abnahme gilt das Gemeinschaftseigentum gemäß § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F. als abgenommen.
Da bei einer fiktiven Abnahme auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem die gesetzlichen Voraussetzungen für die Abnahmefiktion vorliegen, kommt es auf später festgestellte Mängel nicht an.
KEINE FIKTIVE ABNAHME BEI ANGABE EINES MANGELS
OLG FRANKFURT, URTEIL VOM 28.10.2020 - 29 U 146/19
Die Klausel, "Als abgenommen gilt das Werk auch, wenn der Auftragnehmer nach Fertigstellung eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt und der Auftraggeber die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe wesentlicher Mängel verweigert hat.", verstößt gegen § 307 BGB und ist unwirksam.
Nach § 640 Abs. 2 BGB genügt die Angabe von (nur) einem Mangel. Zudem kommt es auf die Wesentlichkeit des einen Mangels nicht an, um die Abnahmefiktion zu verhindern. Schließlich fehlt der Klausel die in § 640 Abs. 2 Satz BGB vorgesehene Belehrung.
ABNAHMEFIKTION SETZT VORAUS, DASS DER HERSTELLUNGSPROZESS ABGESCHLOSSEN IST
OLG MÜNCHEN, BESCHLUSS VOM 04.02.2020 - 28 U 3831/19
Auch eine fiktive Abnahme (nach § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F.) setzt voraus, dass der Herstellungsprozess abgeschlossen ist. Anderenfalls ist die gesetzte Frist unwirksam.
OHNE FRISTSETZUNG KEINE FIKTIVE ABNAHME
OLG MÜNCHEN, URTEIL VOM 30.07.2019 - 9 U 3463/18
Für eine Abnahmefiktion ist kein Raum, wenn dem Auftraggeber keine Frist zur Abnahme gesetzt worden ist.
KEINE FIKTIVE ABNAHME WENN FÖRMLICHE ABNAHME VEREINBART
OLG HAMM, URTEIL VOM 30.04.2019 - 24 U 14/18
Ist im Vertrag eine förmliche Abnahme vereinbart, kommen sowohl Abnahmefiktion als auch konkludente Abnahme nicht in Betracht.
KEINE FIKTIVE ABNAHME BEI WESENTLICHEN MÄNGELN AM GEMEINSCHAFTSEIGENTUM
OLG KOBLENZ, URTEIL VOM 02.03.2017 - 2 U 296/16
Die Abnahmefiktion nach § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB kann nur eintreten, wenn das Werk nicht an wesentlichen Mängeln leidet.
KEINE FIKTIVE ABNAHME ALLEIN DURCH INGEBRAUCHNAHME
OLG KOBLENZ, URTEIL VOM 19.10.2016 - 5 U 458/16
Eine Klausel, nach der die Abnahme unmittelbar bzw. allein an die Ingebrauchnahme des Vertragsgegenstandes geknüpft wird, ist unwirksam.
OHNE BEANSTANDUNGSFREIE NUTZUNG KEINE FIKTIVE ABNAHME
OLG DÜSSELDORF, URTEIL VOM 03.02.2015 - 23 U 34/14
Voraussetzung für eine fiktive Abnahme ist eine zu irgendeinem Zeitpunkt beanstandungsfrei erfolgte Nutzung.
FIKTIVE ABNAHME DURCH EIGENMÄCHTIGE INBESITZNAHME
LG DUISBURG, URTEIL VOM 18.10.2012 - 8 O 227/10
Gegen eine Klausel, die an die eigenmächtige Inbesitznahme die Fiktion einer mängelfreien Abnahme und die Verlagerung der Beweislast für Mängel auf den Erwerber knüpft, bestehen keine Bedenken.
INGEBRAUCHNAHME FÜHRT NICHT ZUR FIKTION DER ABNAHME
OLG MÜNCHEN, URTEIL VOM 02.06.2009 - 9 U 2141/06
Der ausdrückliche Widerspruch des Bestellers gegen die Abnahmereife der Werkleistung aufgrund von Mängeln kann bei vereinbarter förmlicher Abnahme nicht durch Ingebrauchnahme beseitigt werden.
KEINE FIKTIVE ABNAHME DURCH EINZUG
OLG STUTTGART, URTEIL VOM 21.05.2007 - 5 U 201/16
Die Abnahme des Gemeinschaftseigentums obliegt den Erwerbern und nicht der Wohnungseigentümergemeinschaft.
KEINE FIKTIVE ABNAHME DURCH EINZUG
OLG HAMM, URTEIL VOM 24.11.1993 - 12 U 29/93
Die Abnahmefiktion in Formularwerkverträgen, wonach das Vertragsobjekt spätestens mit dem Einzug als abgenommen gilt, ist wegen Verstoßes gegen § 11 Nr. 10f AGB-Gesetz unwirksam.
KEINE FIKTIVE ABNAHME DURCH INGEBRAUCHNAHME
BGH, URTEIL VOM 09.10.1986 - VII ZR 245/85
Eine Klausel, wonach ein Werk bereits mit Ingebrauchnahme als abgenommen gilt, führt mittelbar zur Verkürzung der gesetzlichen Gewährleistungsfrist, welche erst mit der Abnahme des gesamten Werkes beginnt. Die Klausel verstößt gegen § 11 Nr. 10 f AGBG und ist unwirksam.
KEINE FIKTIVE ABNAHME BEI VEREINBARTER FÖRMLICHER ABNAHME
BGH, URTEIL VOM 10.11.1983 - VII ZR 373/82
Sieht der Vertrag eine förmliche Abnahme vor, scheidet eine fiktive Abnahme aus.
KEINE FIKTIVE ABNAHME OHNE FERTIGSTELLUNG DER LEISTUNG
BGH, URTEIL VOM 21.12.1978 - VII ZR 269/77
Die fiktive Abnahme setzt die Fertigstellung der Leistung voraus, mag diese dann auch noch Mängel aufweisen.
KEINE FIKTIVE ABNAHME BEI AUSDRÜCKLICHER VERWEIGERUNG DER ABNAHME
BGH, URTEIL VOM 23.11.1978 - VII ZR 29/78
Bei ausdrücklicher Abnahmeverweigerung scheidet eine Abnahme nach § 12 Nr. 5 VOB/B aus.
KEINE FIKTIVE ABNAHME BEI VERWEIGERUNG DER ABNAHME DURCH DEN AUFTRAGGEBER
BGH, URTEIL VOM 12.06.1975 - VII ZR 55/73
Die Abnahmewirkung nach § 12 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B tritt nicht ein, wenn der Auftraggeber die Abnahme verweigert.